Lemgo. In den letzten Tagen vor den Sommerferien fand am Lüttffeld-Berufskolleg eine Projektwoche zum Thema „Deutschland – Demokratie mit Vielfalt“ statt, die von der Schulsozialarbeiterin Sabrina Miglietta, dem Schulpaten Hans Topp-von Rijbroek und dem Lehrer Christian Krome organisiert wurde.
Im Rahmen der Projektwoche wurde die Ausstellung „Jüdische Nachbarn“ gezeigt. Die Schau hat den Untertitel „Ein biografiegeleitetes Projekt zum jüdischen Leben auf dem Land und in der Stadt in Lippe, im Rheinland und in Westfalen zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ und thematisiert das Leben jüdischer Menschen in Deutschland vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus – mit besonderem Fokus auf einzelne Familien und ihre Schicksal in der jeweiligen Region.
Im Zentrum stehen persönliche Geschichten. Fotos, Briefe, Tagebucheinträge und Interviews, die auf Stellwände reproduziert sind. Sie zeichnen ein eindrucksvolles Bild vom Alltagsleben jüdischer Familien, die einst Teil der lokalen Gemeinschaft waren – und später entrechtet, vertrieben oder ermordet wurden. Die Ausstellung gibt ihnen ihre Namen, ihre Gesichter und Stimmen zurück.
Die Schülerinnen und Schüler erschlossen die Biografien jüdischer Nachbarn anhand von Arbeitsblättern, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden. Berichtet wird auf den Arbeitsblättern beispielsweise über eine Person namens Moritz Rülf, der 1888 geboren wurde und für mehrere Jahre mit seiner Frau und seinen drei Kindern in der Elisabethstraße 22 in Detmold lebte und als Lehrer tätig war. Schon in der Weimarer Republik wurde ihm vorgeworfen, dass er aufgrund seiner jüdischen Religion nicht geeignet sei, „christliche Kinder zu erziehen“. Die Familie erlebte Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Moritz Rülf am 26. April 1933 endgültig aus dem Staatsdienst entlassen und einen Monat später für ein paar Tage in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und gezwungen, schriftlich auf alle Ansprüche an den lippischen Staat zu verzichten. Moritz Rülf wurde am 20. Juli 1942 zusammen mit seiner Frau Erika Rülf nach Minsk deportiert und, so heißt es auf dem Arbeitsblatt „vermutlich unmittelbar nach der Ankunft in der Vernichtungsstätte Maly Trostinec ermordet“. In einem Gespräch mit dem Lehrer Christian Krome stellten die Schülerinnen und Schüler die Biografien vor und reflektierten sie.
Neben dieser Ausstellung fanden Workshops statt, die von den neu ernannten Demokratiebotschaftern der Schule geleitet wurden. Die Demokratiebotschafter Spiridon Georgiadis, Kim Vanessa Linka, Lina Nachtigall, Angela Sofie Schwarzkopf, Jana Tewes, Anna Wisniewski und Lisa Zulfaj hatten gerade ihre Ausbildung als Demokratiebotschafter beendet und ihre Zertifikate erhalten. Die Themen, die von ihnen mit viel Engagement erarbeitet und in den Workshops präsentiert wurden, lauteten: „Mit Behinderung in der Gesellschaft“, „Rechts, links, egal“ und „Du bist nicht Teil des Problems? – Dann werde Teil der Lösung“. Der Workshop „Rechts, links, egal“ war ein Crash-Kurs, der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch das politische Spektrum navigierte „von rechts nach links“. Dabei ging es um die historische und inhaltliche Einordnung der Begriffe, aber auch um „politische Selbsteinschätzungen“. Mit ihren Workshops wollten die Demokratiebotschafter zudem auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam machen und Lösungsansätze zur Diskussion stellen. Hierbei bezogen sie sich beispielsweise auf die Frage, wie „Menschen mit Behinderung ihren Alltag meistern und welche Probleme ihnen begegnen“ oder auch darauf, wie die soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beseitigt werden kann. Ziel dieses Workshops war es, „ein kritisches Verständnis von Geschlechterrollen, Machtstrukturen und Gleichberechtigung zu schaffen und ein Bewusstsein für strukturelle Ungleichheit anhand feministischer Konzepte zu fördern“. Die Workshops fanden grossen Anklang. Ein herzliches Dankeschön an die Demokratiebotschafter für ihr Engagement.
Mit der Projektwoche wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Augen geführt, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist und sie gelebt, gelernt und verteidigt werden muss. Das Grundgesetz verbietet Diskriminierung und fordert die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben – das soll unser Anspruch sein. Formen und Folgen von Diskriminierung zeigte die Ausstellung „Jüdische Nachbarn“ an historischen Beispielen. Sie macht deutlich, dass Geschichte nicht abstrakt ist, sondern uns alle betrifft, was durch den regionalen Bezug der Ausstellung anschaulich wurde. Die Schülerinnen und Schüler brachten selbst beim Besuch der Ausstellung Gegenwartsbezüge zur Sprache und warnten vor dem wachsenden Antisemitismus, der sich in den sozialen Medien, aber auch auf der Straße zeigt. Gemeinsam diskutierten sie, wie man solchen Tendenzen begegnen kann – etwa durch Aufklärung, Zivilcourage und den Einsatz für demokratische Werte.
Das Lüttfeld-Berufskolleg engagiert sich für „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und organisiert jährlich ein Fahrt nach Polen zur Gedenkstätte des KZ Auschwitz (Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau). Schülerinnen und Schüler sind dazu eingeladen, an einer solchen Gedenkstättenfahrt teilzunehmen. Auch dies ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratiebildung und zur Erinnerungskultur an unserer Schule.